Auf mehr als 18.000 Hektar Fläche wachsen in Südtirol Äpfel, wobei rund 10 Prozent der in Europa verkauften Äpfel von genau dort stammen. Dabei sind bei Weitem nicht alle Apfelbauern gleich Biobauern, was heißt, dass enorm viele Pestizide eingesetzt werden, und zwar bis zu 20-mal pro Saison. Auf diesen Punkt hat insbesondere der Oekom-Verlag in Zusammenarbeit mit dem Autor und Filmemacher Alexander Schiebel in dem Buch und gleichnamigen Film „Das Wunder von Mals“ gemacht, weshalb selbige nun vor Gericht stehen.
„Das Wunder von Mals“
In seinem Film „Das Wunder von Mals“ berichtet der Autor und Filmemacher Alexander Schiebel von einem kleinen Dorf namens Mals in Südtirol darüber, wie sich eine Dorfgemeinschaft zusammengetan hat, um gegen den Pestizideinsatz und die übermächtige Lobby der Obstlandwirtschaft, dem Bauernbund, der Landesregierung und verschiedener Konzerne auf die Barrikaden zu gehen. Und das nicht zuletzt auch dahingehend, weil in Südtirol 2017 noch Pflanzenschutzmittel gespritzt wurde, die in Deutschland längst verboten sind. Ganze 76 Prozent der besorgten Bürger*innen stimmten im Zuge einer Volksabstimmung für eine Zukunft ohne Pestizide. Mals soll somit zur ersten Pestizidfreien Gemeinde Europas werden. So zumindest der Plan…
Wie eine Geschichte über Widerstand für den Autor zum Alptraum wurde
Alexander Schiebel hatte gewiss nichts Böses im Sinn als er sein Buch (2017) „Das Wunder von Mals“ und den gleichnamigen Film, 2018 veröffentlichte. Im Gegenteil, es ging darum, die Vordenker und Aktivisten, Obstbauern und Bio-Landwirte aus Mals vorzustellen und denen eine Stimme zu geben, welche für die Umwelt und gegen den Einsatz von Pestiziden kämpfen wollen. Das jedoch sahen nicht alle als etwas Positives an. Der Südtiroler Landesrat Arnold Schuler warf Alexander Schiebel „üble Nachrede“ vor und zeigte ihn daraufhin zum Leidwesen der Südtiroler Landwirtschaft 2017 an. Und als würde das nicht schon reichen trommelte der Landesrat noch 1300 weitere Landwirte zusammen, welche die Kritiker ebenfalls vor Gericht sehen wollten und diese anzeigten.
Schuler selbst baut Äpfel an und nimmt die chemiefreudigen Apfelbauern in Schutz, da das mit den Pestiziden ja gar nicht so schlimm wäre. Der Einsatz von Pestiziden sei ohnehin schon enorm zurückgefahren. Das jedoch reicht den Umweltschützern und Biobauern nicht. Sie fordern den völligen Verzicht auf synthetische Pestizide.
Auch Karl Bär, Referent für Agrar- und Handelspolitik beim Umweltinstitut München, wurde wegen einer Kampagne zum Pestizideinsatz in Südtirol angezeigt. Und tatsächlich, man mag es kaum glauben, aber die Bozener Staatsanwaltschaft hat Anklage erhoben, weshalb sich die beiden Angeklagten Alexander Schiebel und Karl Bär seit dem 15. September 2020 vor Gericht verantworten müssen. Von nun an müssen Bär und Schiebel die Geschworenen davon überzeugen, dass ihre Kritik an die Südtiroler Landwirtschaft und die „polemische“ Form, in welcher sie geäußert wurde, gerechtfertigt war.
Ein „Angriff auf die Meinungsfreiheit“
Arnold Schuler missbraucht seine politische Position und macht sich zum Handlanger der mächtigen Südtiroler Obstlobby. Der Landesrat und die konventionellen Apfelbauern wollen den übermäßigen Einsatz von Pestiziden in den Monokulturen Südtirols und deren Folgen für Natur und Mensch unter den Teppich kehren. Menschen, die sich in der Region gegen die massive Verwendung chemisch-synthetischer Pestizide wehren, werden attackiert. Inzwischen herrscht bei vielen von ihnen ein Klima der Angst. Doch wir werden uns nicht mundtot machen lassen, im Gegenteil.
Alexander Schiebel
Alexander Schiebel gegenüber oekom.de.
Alexander Schiebel bei frontal21 vom 22.September 2020 einer (Screenshot: Horizonworld)
Wie sich zeigt, hat Südtirol nicht nur ein Pestizidproblem, sondern auch ein Demokratieproblem. Die Anzeigen und Klagen gegen uns entbehren jeder sachlichen Grundlage und haben nur ein Ziel: Kritiker*Innen des gesundheits- und umweltschädlichen Pestizideinsatzes sollen in Südtirol zum Schweigen gebracht werden. Der Prozess reiht sich ein in eine lange Reihe von haltlosen Klagen gegen Aktivist*Innen und Publizist*Innen in Italien und in ganz Europa. Immer häufiger versuchen Unternehmen oder Politiker*Innen, auf diese Weise kritische Personen in ihrer Arbeit zu behindern und einzuschüchtern.
Karl Bär gegenüber oekom.de
Karl Bär bei frontal21 vom 22.September 2020 einer (Screenshot: Horizonworld)
Überraschende Kehrtwende…
Hätten die beiden Angeklagten den Prozess verloren, hätten sie im schlimmsten Fall mit einer Gefängnisstrafe und Entschädigungen in Millionenhöhe rechnen müssen. Mitte September aber dann die Erleichterung. Landesrat Schuler lenkt ein und zieht seine Anzeige gegen das Umweltinstitut München, oekom-Autor Alexander Schiebel und den oekom Verlag zurück. Auch zum angesetzten Gerichtstermin ist der Landesrat nicht erschienen. Auflösen konnten die Beteiligten den Prozess deswegen jedoch nicht, da die Anwälte des Klägers über keine Vollmacht verfügten. Dennoch begrüßten die Angeklagten den Rückzug Schulers.
Die Welle der Solidarität, die über die ganze Welt bis nach Südtirol gerollt ist, hat bei Landesrat Schuler möglicherweise ein radikales Umdenken bewirkt. Wir werden allerdings nicht zu früh jubeln. Erst wenn alle Angeklagten freigesprochen sind, können wir aufatmen. Bis dahin bleiben wir wachsam
So Alexander Schiebel gegenüber oekom.de
Der Ausgang des Prozesses ist weiterhin offen
Nachdem der Landesrat am 15. September nicht zum Gerichtstermin erschien und dieser daraufhin verschoben wurde, rufen das Umweltinstitut München und der oekom Verlag den Südtiroler Landesrat Arnold Schuler auf, seinem „Angriff auf die Meinungsfreiheit“ endlich ein Ende zu setzen. Da seine Anwälte keine Vollmacht besitzen, liegt es allein in den Händen des Landesrates als auch den 1300 Landwirt*Innen, dem Prozess ein Ende zu setzen, indem die Anzeigen offiziell zurückgezogen werden. Entgegen Arnold Schulers Ankündigung ist dies am 15.September nicht geschehen. Der Richter hat nun eine Frist auf den 27. November gelegt, bis dahin alle Anzeigen offiziell zurückgezogen sein müssen.
Somit ist der Ausgang des Prozesses weiterhin offen, wobei sich neben Schuler noch zwei weitere Landwirte als Nebenkläger meldeten.
Es ist ein gutes Zeichen, dass die Kläger heute auch vor dem Richter bestätigt haben, ihre Klage fallen lassen zu wollen. Erstaunlich ist allerdings, dass Landesrat Schuler nun als Nebenkläger auftritt und gemeinsam mit den weiteren Nebenklägern aus der Obstwirtschaft eine Schadenersatzforderung von einem Euro geltend machen will. Damit liegt auf der Hand, dass der wahre Zweck seiner Strafanzeigen von 2017 nicht die Wiedergutmachung eines Schadens war. Er wollte mit seiner Anzeige die Debatte um den schädlichen Einsatz von Pestiziden in Südtirol unterbinden.
Nicola Canestrini, Rechtsanwalt der Beklagten gegenüber oekom.de.
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